WISSENSCHAFT IM TREND: Prähistorische Kriegerinnen? Beiseite, Mann und Großwildjäger

Forschende fördern Hinweise zu prähistorischen Jägerinnen zutage.

Seit dem 20. Jahrhundert wird über die frühen Menschen angenommen, dass Männer für die Jagd verantwortlich waren, während Frauen sammelten und sich um die Wohnstätte kümmerten. Die jüngste Entdeckung von Überresten einiger Jägerinnen stellt die seit langem bestehende Vorstellung von den Urformen der Geschlechterrollen in Frage.Jüngsten archäologischen Funden zufolge, welche in der Zeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht wurden, waren bis zur Hälfte der Frauen in Amerika Großwildjägerinnen. „Eine archäologische Entdeckung und Analyse der frühen Bestattungspraktiken stellt die seit langem vertretene Hypothese ‚Mann-ist-Jäger‘ infrage“, kommentierte Hauptautor Randy Haas, Assistenzprofessor für Anthropologie an der University of California, Davis, in einer Pressemitteilung derselben Institution. „Wir halten diese Ergebnisse für äußerst aktuell, wenn man sich die gegenwärtigen Gespräche über geschlechtsspezifische Arbeitspraktiken und Ungleichheit vor Augen führt.“ Er fügte hinzu: „Die Arbeitspraktiken in den jüngeren Jäger- und Sammlergesellschaften sind äußerst geschlechtsspezifisch, was zu der Annahme führen könnte, dass geschlechtliche Ungleichheiten in Angelegenheiten wie Lohn oder Rang auf gewisse Weise ‚natürlich‘ seien. Inzwischen ist es jedoch ersichtlich, dass die Arbeitsteilung der Geschlechter in der tiefen Jäger-und-Sammler-Vergangenheit unserer Spezies grundlegend anders – wahrscheinlich gerechter – war.“

„Es bedurfte starker Argumente, um zu erkennen, dass das archäologische Modell tatsächlich auf das Jagdverhalten der Frauen hinweist“, erklärte Prof. Haas gegenüber „CNN“. „Unter den historischen und zeitgenössischen Jäger- und Sammler-Gemeinschaften ist es fast immer so, dass die Männer für das Jagen und die Frauen für das Sammeln zuständig sind. Infolgedessen – und wahrscheinlich aufgrund sexistischer Annahmen über die Arbeitsteilung in der westlichen Gesellschaft – passten archäologische Funde von Frauen mit Jagdwerkzeugen schlichtweg nicht in die vorherrschenden Weltbilder.“An einer Grabstätte in den peruanischen Anden haben Prof. Haas und sein Grabungsteam 2018 die Überreste einer jungen Frau ausgegraben, die vor rund 9 000 Jahren lebte. Er nahm automatisch an, dass die Leiche männlich war, da sie in der Nähe von Jagdwerkzeugen entdeckt wurde. Eine Analyse der Knochen und des Proteins aus den Zähnen bestätigte das Geschlecht. Sie war vermutlich zwischen 17 und 19 Jahre alt, als sie starb.

Der Teenager war eine von sechs Leichen, die in fünf Grabstätten am Ausgrabungsort gefunden wurden. Die Steinwerkzeuge in der Nähe deuten darauf hin, dass sie mit einem Speer jagte. Zu den Werkzeugen gehören Projektilspitzen aus Stein zum Töten großer Tiere, schwere Steine zum Abziehen von Häuten und Brechen von Knochen, sowie Werkzeuge zum Schaben, Gerben und Konservieren von Häuten. Insgesamt wurden über 20 000 Artefakte zusammengetragen.

Um herauszufinden, ob es sich bei der Entdeckung um eine Ausnahme handelte, untersuchte Prof. Haas 429 Skelette, die auf 107 andere Grabstätten in Nord- und Südamerika von vor etwa 8 000 bis 14 000 Jahren verteilt waren. Von den 27 Personen, die mit Jagdwerkzeugen bestattet wurden, handelte es sich bei 11 um Frauen. Die Studie schätzt, dass in dieser Zeit zwischen 30 % und 50 % der Jagenden Frauen waren.

Die Studie deutet darauf hin, dass die Erkundung weiterer Grabstätten an anderen Orten eine Schlüsselrolle für das Verständnis der Entwicklung der Arbeitsteilung in den Jäger- und Sammler-Gemeinschaften spielen könnte. „Unsere Ergebnisse haben mich dazu veranlasst, die grundlegendste Organisationsstruktur prähistorischer Jäger-Sammler-Gruppen und menschlicher Gruppen im Allgemeinen neu zu überdenken“, schloss Prof. Haas in demselben „CNN“-Interview.


last modification: 2020-11-20 17:15:02
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