Zeit für einen Vertrauensvorschuss? Wie sich das Vertrauen in Wissenschaft und Fachkompetenz wiederherstellen lässt

Ein Wissenschaftlerteam hat den augenscheinlichen Vertrauensverlust im Hinblick auf Expertenwissen untersucht und sich dabei insbesondere auf die Auswirkungen der sozialen Medien sowie neuer Kommunikationsplattformen konzentriert.

Fake News? Postfaktisches Zeitalter? Populismus? Im aktuellen gesellschaftlichen Klima, das von wachsender Skepsis gegenüber den politischen Institutionen sowie einer Geringschätzung von Journalismus und wissenschaftlichen Fakten geprägt ist, bröckelt offenbar auch das öffentliche Vertrauen in Fachwissen. Solche Trends werden oft mit der sich wandelnden digitalen Kommunikationslandschaft in Verbindung gebracht. Hier sind neue Antworten und Mechanismen erforderlich, um eine gemeinsame Grundlage für den öffentlichen Diskurs und die Entscheidungsfindung zu schaffen. Zu diesem Fazit gelangt der europäische Zusammenschluss von Akademien der Wissenschaften ALLEA (All European Academies) in einer Reihe von Diskussionspapieren. ALLEA ist eines von fünf europäischen Akademienetzwerken, die am EU-finanzierten Projekt SAPEA (Science Advice for Policy by European Academies) des Scientific Advice Mechanism der Europäischen Kommission teilnehmen.

Die in den Diskussionspapieren behandelten Themen wurden bei einem Briefing vorgestellt, das von der Royal Irish Academy (RIA), ebenfalls Mitglied von ALLEA, ausgerichtet wurde. Wie in der Tageszeitung „The Irish Times“ berichtet wurde, hob Prof. Luke Drury von der ALLEA-Arbeitsgruppe zum Themenkreis Wahrheit, Vertrauen und Expertise anhand einiger Beispiele hervor, wie Glaubhaftigkeit durch die sozialen Medien beeinträchtigt wird. Seiner Ansicht nach sind die sozialen Medien gefordert, für die Inhalte, die auf ihren Plattformen erscheinen, die Verantwortung zu übernehmen. „Sie können nicht einfach so tun, als handelte es sich um neutrale Plattformen, wenn dort Algorithmen am Werk sind, die bewusst eine Polarisierung vorantreiben und Informationsblasen und Echoräume entstehen lassen, die Benutzer anfällig für Manipulation machen.“

Kontext-Kollaps

Prof. Maria Baghramian aus der gleichen ALLEA-Arbeitsgruppe verwies in ihrem im Rahmen des RIA-Briefings gehaltenen Vortrag auf den Aspekt des fehlenden Kontextbezugs oder „Kontext-Kollapses“. „Auf den digitalen Kanälen zur Wissensverbreitung besteht oft wenig Klarheit darüber, wer was sagt, in welchem Zusammenhang und auf Grundlage welcher Berechtigung und Sachkenntnis.“

Prof. Baghramian wird im zuvor genannten Artikel in „The Irish Times“ zu den Eigenschaften vertrauenswürdiger Experten zitiert: „Kompetenz, Integrität/Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und nachweisliche Leistungen sind wichtige Kriterien, doch auch Gutwilligkeit spielt eine Rolle, was bedeutet, dass eine Person geneigt ist, im Interesse anderer zu handeln und ihnen mit Wohlwollen zu begegnen.“ Sie fügte hinzu: „Vertrauen heißt, von anderen abhängig zu sein. Wenn wir Vertrauen zeigen, setzen wir uns der Möglichkeit aus, in Mitleidenschaft gezogen oder verletzt zu werden. Wir gehen ein Risiko ein und müssen auch mit der Möglichkeit des Verrats rechnen. Vertrauen funktioniert nicht ohne einen Vertrauensvorschuss.“

Die zentralen Themen der ALLEA-Arbeitsgruppe unterstreichen darüber hinaus die Bedeutung wissenschaftlicher Kenntnisse und Erkenntnisse als wesentliche Dimension der Politikgestaltung. Im Mittelpunkt stehen die Dynamiken des öffentlichen Vertrauens in Fachkompetenz und die umstrittenen Normen, die bei der Definition von Wahrheit, Fakten und Nachweisen in der wissenschaftlichen Forschung und anderen Bereichen zum Greifen kommen. Gemeinsam mit der Group of Chief Scientific Advisors, der wissenschaftlichen Beratergruppe der Europäischen Kommission, bietet SAPEA unabhängige wissenschaftliche Beratung für die Kommissionsmitglieder, um sie bei ihrer Beschlussfassung zu unterstützen.

SAPEA ist ein laufendes Projekt, das auch die Kooperation zwischen den Akademienetzwerken und deren Mitgliedsakademien stärkt. Neben ALLEA umfasst das SAPEA-Konsortium die Academia Europaea, den European Academies’ Science Advisory Council, den European Council of Academies of Applied Sciences, Technologies and Engineering sowie die Federation of European Academies of Medicine.

Weitere Informationen:

SAPEA-Projektwebsite


last modification: 2019-12-09 17:15:02
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